…ODER: Wie mich ein älterer Herr zum Weinen brachte
Es ist morgens früh, kurz vor 8. Die Sonnenstrahlen blitzen schon durch die kleinen Sträßchen und verraten, dass es ein schöner Tag wird. Trotzdem ist es noch so frisch. Eingepackt mit dickem Schal laufe ich die 3 Straßen vom Hotel zum Markt. Verfallen soll er sein und sich der Besuch nicht wirklich lohnen, hieß es in manchen Bewertungen, die ich vorher online gelesen habe. Aber ich gebe Märkten immer gerne selbst die Chance mich zu verzaubern.
Bis auf den Berufsverkehr ist es noch vergleichsweise ruhig auf den Straßen. In kleinen Cafés sitzen ein paar Frühaufsteher, die ihren Kaffee mit süßem portugiesischem Gebäck genießen. Die Atmosphäre ist noch recht verschlafen – so wie ich selbst auch. Das passt ganz gut zusammen.
Die großen schmiedeeisernen Tore sind weit geöffnet. Auch hier herrscht noch kein Gewusel. Es geht gemächlich zu. Die ersten Händler haben ihre Stände mit frischem Obst und Gemüse schon aufgebaut. Ich muss aber eher Händlerinnen schreiben – nur ein paar Männer laufen mir hier am Morgen über den Weg.
Die Markthalle von Bolhão hat zwei Etagen. Von der oberen Etage, die wie ein durchgehender innenliegender Balkon gebaut ist, hat man einen guten Überblick, wie groß der Markt wirklich ist. Auch wenn das Gebäude bestimmt schon bessere Zeiten erlebt hat, hier und da ein bisschen neue Farbe vertragen würde, macht gerade das seinen Charme aus. Ein Teil ist momentan mit Gerüsten eingepackt und wird wahrscheinlich aufgehübscht. Unten liegen auf der gesamten Fläche allerhand Stände und kleine Geschäftchen, die von Fisch, Fleisch, Backwaren, Obst und Gemüse, eingemachten Marmelädchen, Portwein und Souvenirs alles verkaufen. Zwischendrin sind kleine Cafés, die aber noch geschlossen haben. Auch ein kleiner Laden, der mich an unsere Reformhäuser erinnert und sogar glutenfreie Plätzchen anbietet, findet seinen Platz.
Ich stehe angelehnt an das Geländer der oberen Etage und beobachte das Treiben, wie der Markt langsam zum Leben erweckt wird. Hier wird eine Sackkarre die Treppe herauf gehievt, da raunzt eine Dame ihren Mann an, wie er die frischen Kräuter am besten drappieren soll. Zwei Damen halten ihren Morgenplausch und tauschen wahrscheinlich den neuesten Klatsch und Tratsch aus. Sie erinnern mich an Walter und Statler aus der Muppetshow – ich muss schmunzeln. Tauben sitzen auf den Stromleitungen und warten, dass vielleicht irgendwo für sie ein paar Krümelchen abfallen. Ein Herr mit einer Kiste voller Zitronen kommt an mir vorbei. Er lächelt und gibt mir in einem Gemisch aus Portugiesisch (wovon ich kein Wort verstehe) und wenigen Wörtern Englisch zu verstehen, dass ich viel zu früh bin. Er zeigt mir auf meiner Armbanduhr, dass es wohl erst gegen 9 Uhr hier mehr zu sehen gibt.
Aber nun bin ich einmal hier und muss sagen, dass es seinen ganz eigenen Charme hat, zu beobachten, wie der Markt aufwacht. Wo bei meiner ersten Runde noch nichts aufgebaut war, strahlen mir nun Blumengestecke entgegen und einen Gang weiter werden die frisch gefangenen Fische geschuppt und auf Eis gelegt. Riesige Kisten mit den typischen Sardinen warten auf ihre Käufer.
Auf meiner Einkaufsliste stehen noch Mitbringsel für meine Familie und Freunde – ich es liebe es, landestypisches Gebäck oder andere leckere Dinge mitzubringen – so lange es nicht für mich ist, darf es natürlich auch Gluten enthalten. So halte ich an einem kleinen Bäckerladen. Die Dame versucht mit ihre so gut aussehenden Kekse und Küchlein schmackhaft zu machen. Mit einem ausgedruckten Zettelchen, auf dem beschrieben ist, dass ich keine Backwaren wegen meiner Zöliakie essen darf, scheint es ihr leid zu tun, dass sie mir gerade noch die so lecker aussenden Puddingtörtchen „Pastéis de Nata“ verkaufen wollte. Aber die Worte „Mama & Papa“ versteht man wohl in jeder Sprache, so dass sie dann doch munter Mandel-, Zucker- und Nusskekse einpackt. Sie gibt mir noch zu verstehen, dass das wirklich nichts für mich ist. Sehr süß – damit meine ich nun nicht das Gebäck.
Ich bin noch unentschlossen, wofür noch Platz in meinem Handgepäcksköfferchen ist, so dass sie zwischendurch noch ihre Stammkundschaft bedienen kann. Ohne die Bestellung aufzugeben, weiss die Dame schon, wer was bekommt. Ein älterer Herr steht in der Reihe. Seinen Gehstock trägt er lässig unter dem Arm. Der strahlend weiße Kragen seines Hemdes guckt unter dem dicken Strickpulli hervor. Er blickt die Verkäuferin an, beobachtet mich ein bisschen von der Seite, lächelt verschmitzt, stützt sich auf seinem Stock ab und beginnt zu singen. Keiner unterhält sich mehr, selbst die Verkäuferin hält inne. Ich verstehe kein Wort, aber das muss ich auch gar nicht um zu begreifen, dass es wahnsinnig schön und zugleich so schrecklich rührend ist. Am Anfang versuche ich meinen Kloß im Hals herunter zu schlucken, aber dann läuft schon ein Tränchen über meine Wange. Am Tag zuvor habe ich noch gelächelt, als mir jemand erzählte, dass er bei dem portugiesischen Gesang Fado immer zu weinen beginnt – und nun stehe ich selbst da und tupfe mir die Tränen weg.
Das Ständchen ist vorbei, der Herr nimmt sein Gebäck und zieht seines Weges – mit einem Lächeln auf den Lippen. Ein paar Minuten später begegne ich ihm noch einmal in der Gemüseabteilung –mit einem lieben Winken verabschiedet er sich und verschwindet durch die riesigen Tore in der Stadt.
Solche Erlebnisse machen für mich Marktbesuche aus. Es sind die Menschen, die einen Markt zum Leben erwecken. Es sind die lächelnden Omis, die dir zu der getrockneten Salami noch einen Käselaib verkaufen wollen, die Dame, die ihre selbstgemachte Marmelade verkauft und zu erklären versucht, welche Geschmacksrichtungen es sind – und es ist der Herr, der mich mit seinem Gesang zu Tränen rührt.
Hast du auch unvergessliche „Marktmomente“ auf deinen Reisen oder hier in der Heimat gesammelt? Erzähle mir gerne in den Kommentaren davon!
Mit diesem Artikel nehme ich an der Blogparade von Bianca „Welche Begegnung war für dich besonders und warum?“ auf Lebedraussen teil.
5 Comments
Pingback: ? Diese 7 Blogger erlebten auf Reisen unglaubliches
Hi Anna
Sehr toll geschrieben. Ich habe mich gerade wie zurückversetzt gefühlt. Vor zwei Jahren war ich in der selben Markthalle, nur nicht ganz so angetan. Da haben mich die Markthalle in Valencia und vor allem der Markt in Sri Lanka doch noch etwas mehr weghauen. Nun ja, ich muss sagen ich liebe solche Märkte genau wie du, die Menschen machens eben schon aus 😉
Grüsse Silvan
Hallo Silvan,
vielen lieben Dank für dein Kompliment! Ich fasse es einfach mal als solches auf:-)! Ja, wahrscheinlich waren es einfach die Begegnungen, die den Markt für mich zu etwas Besonderem gemacht haben. Ohh, an die Märkte auf Sri Lanka kann ich mich auch noch gut erinnen, obwohl es schon so ewig her ist, dass ich da war!
Viele liebe Grüße
Anna
Abgehetzt nichts Rührseliges zu erzählen, aber du könntest auch als Reiseautorin arbeiten!tolle Art zu berichten!
Oh, vielen lieben Dank!! Wer weiss, wo der Weg hinführt:-)!