Das Leben nach der Zöliakie-Diagnose
Wenn man mich fragt, was ich seit der Diagnose am meisten vermisse, ist es wahrscheinlich noch nicht einmal ein bestimmtes Lebensmittel oder Gericht, sondern die Spontanität. Auch noch Jahre nach der Diagnose ist es genau das, was ich am meisten vermisse. Einfach spontan sein. Ganz egal, ob es eine ganz alltägliche Freizeitaktivität wie das Kaffeetrinken mit der besten Freundin, der Döner um die Ecke, das frische Brötchen vom Bäcker zwischendurch, der Wochenendausflug oder der Urlaub sind. Spontan sein ist nicht mehr.

Alles will gut vorbereitet sein. Ganz alltägliche Dinge bekommen auf einmal einen ganz anderen Stellenwert. Bei jeder Aktivität muss das Essen mitgedacht werden. Und dabei meine ich bei wirklich bei jeder Aktivität. All das, was für nicht betroffene Personen das Normalste auf der Welt ist, ist für Menschen mit Zöliakie mit einem Aufwand verbunden oder schlichtweg nicht möglich!
In den vergangenen Jahren ist genau das zu meiner Realität geworden. Es fällt mir tatsächlich gar nicht mehr auf – nur dann, wenn ich mich im Alltag selbst beobachte, wird es deutlich wie sehr die Zöliakie das Leben bestimmt. Es gibt kaum alltägliche Dinge, die nicht mit einem Mehraufwand verbunden oder schlichtweg nicht mehr möglich sind. All das, was für den Großteil der Menschen völlig normal ist, können für Personen mit Zöliakie eine Herausforderung sein. Manchmal frage ich mich, wie es wohl ist, wenn man sich über solche Dinge einfach keine Gedanken machen muss. Fühlt sich das Leben dann leichter an?
Was plötzlich nicht mehr geht oder zumindest mit zusätzlichen Herausforderungen verbunden ist:
- Ein Brötchen beim Bäcker holen
- Mal eben zur Dönerbude um die Ecke gehen
- Unbeschwert Essen gehen (Restaurant, Mensa, Kantine, …)
- Eine Waffel auf dem Stadtfest essen
- Eine Bratwurst im Brötchen snacken
- etwas vom Grill essen
- Eine gemischte Tüte am Kiosk kaufen
- Nachos im Kino essen
- Den Keks neben der Kaffeetasse essen
- Einen Kaffee mit „normaler“ Hafermilch als laktosefreien Milchersatz trinken (Laktoseintoleranz trifft auf Zöliakie!)
- Nach Herzenslust am Buffet zugreifen, ohne Angst vor einer Kontamination zu haben
- An der Raststätte etwas zu Essen kaufen
- Chips, Süßigkeiten oder Gewürzmischungen aus dem Snackautomaten ziehen, ohne die Zutatenliste zu kennen
- Eine frische Brezel am Bahnhof holen
- Sich auf der Kirmes von Stand zu Stand futtern
- Eine Kneipentour mit Freunden machen
- Am Probierstand im Supermarkt etwas naschen
- Pommes im Schwimmbad essen
- Spontan in der Pizzeria mit Freunden eine Pizza teilen
- Ein Stück Geburtstagskuchen im Büro essen
- Kurz am Eis lecken
- Einmal bei deinem Freund am Bier nippen
- Sorgenfrei Cocktails oder Mischgetränke an der Bar bestellen
- Einen Burger holen
- Omas Kekse naschen
- Spontane Essenseinladungen annehmen
- Ohne einen Notvorrat an glutenfreien Lebensmitteln reisen
- Backen & Kochen ohne auf spezielle Zutaten und eine Kreuzkontamination achten zu müssen
- Lebensmittel ohne einen vorherigen Check der Zutaten in den Einkaufswagen stellen
- Ohne Sorge an der Frischetheke einkaufen

Verzicht wird zur Routine
Ich bin mir sicher, dass man die Liste noch viel weiter ergänzen könnte. Habt ihr noch weitere Beispiele? Schreibt sie gerne in die Kommentare! Auch wenn das erst einmal ein echter Dämpfer ist, kann ich aus eigener Erfahrung sagen: Mit der Zeit wächst die Routine. Tatsächlich sind genau dieser Verzicht und die mangelnde Spontanität mit der Zeit zu meinem Alltag geworden. Automatisch denkt man diese Situationen unterbewusst schon mit, bereitet sich vor, hat Snacks in der Tasche und kennt hier und da eine sichere glutenfreie Anlaufstelle wie das Lieblingsrestaurant oder einen Supermarkt mit einem guten glutenfreien Sortiment. Aber ja, auch wenn es traurig klingen mag, akzeptiert man auch nach einer Zeit diesen Verzicht. Irgendwann gehört er einfach dazu.
Auch wenn der Geruch von frischen Brötchen beim Bäcker oder die fluffigen Zimtschnecken in der Auslage verlockend aussehen, kommen für mich bei meiner glutenfreien Ernährung keine Ausnahmen und Cheat Days in Frage. Für mich ist es kein Brötchen oder kein Biss in ein fluffiges Croissant wert, irgendwann an den möglichen Spätfolgen zu leiden oder kurzfristig schmerzhafte Symptome in Kauf zu nehmen. So stark und schmerzhaft, wie sich bei mir alleine ein Glutenunfall bemerkbar macht, wäre die vermeintliche Freude an einem glutenhaltigen Lebensmittel auch schnell wieder verflogen!

Deshalb ist Aufklärung in meinen Augen so wichtig – nicht nur für die Betroffenen selbst, sondern auch für ihr Umfeld. Wer weiß, was Zöliakie bedeutet, kann Rücksicht nehmen, unterstützen und den Alltag für betroffene Personen leichter machen. Meine Traumvorstellung ist ja immer noch, dass sich insbesondere in der Gastronomie und weiteren Bereichen des öffentlichen Lebens etwas tut. Dass die Bedürfnisse von betroffenen Menschen mitgedacht und beachtet werden. Oft sind es schon Kleinigkeiten, die einen großen Unterschied machen würden – glutenfreie Hafermilch in Cafés, Verständnis für Betroffene und die Bemühung etwas zu verändern!
Kommt euch das Thema mit der fehlenden Spontanität auch bekannt vor? Was stört euch seit der Diagnose am meisten? Berichtet mir gerne in den Kommentaren davon!
Folgt ihr mir eigentlich schon auf Instagram und Facebook? Ich freue mich, wenn wir uns auch da vernetzen!
Eure Anna ♥
4 Comments
Ich glaube deine Liste ist schon aussagekräftig genug.
Der Verzicht ist für meine Kids glaube auch das größte Problem.
– eingeschränkte Essenauswahl im Restaurant
– ohne Nachfrage im Hotel einchecken und das Frühstücksbuffet genießen
– ins Spieleparadies gehen ohne vorher nach glutenfreiem Essen zu fragen
– eine Klassenfahrt besuchen ohne vorher beim Veranstalter nachfragen zu müssen, ob man dort auch Essen erhält!
– einfach mal unterwegs Fast-Food-Essen können
Liebe Mesalunita,
ich freue mich sehr, dass ich mit meiner Aufzählung schon so viel abgedeckt habe, worin du euren Alltag auch wiedererkennst. Aber ja, das glaube ich dir gerne – für Kinder ist das noch einmal ein ganz anderes Thema. Besonders als Mama fühlt man sich ja dann bestimmt doppelt verantwortlich, oder? Sind deine Kid denn bereits so groß, dass sie gut für sich selbst sprechen können und das glutenfreie Leben akzeptieren? Das ist für mich auch Neuland uns ganz spannend!
Alles Liebe
Anna
Meine Große fängt jetzt langsam damit an, aber auch nur, weil ich ihr gesagt habe, dass sie anfangen muss selbst nachzufragen. Klar bin ich dann doch meistens noch in der Nähe aber gerade in der Schule oder bei Ausflügen muss sie sich mit 12 Jahren dann doch auch selbst „verteidigen“ können.
Mein Kleiner ist mit seinen 6 Jahren eher so, dass er alles meidet was er nicht kennt. Somit greift er sich nichts, was vielleicht falsch sein könnte. Und er sagt auch immer frei raus, dass er das bestimmt nicht essen kann und deswegen lieber nichts nimmt. Manchmal bekommt er dann statt was zu essen eben was zum Spielen oder so. Er würde sich jetzt aber nirgends einfach so was bestellen, da muss ich tatsächlich noch mehr helfen.
Akzeptiert haben sie die Erkrankung aber beide noch nicht wirklich. Immer mal wieder kommt die Frage: ob sich das jemals wieder ändert? Ob es in Deutschland bald einfacher wird?
Das macht einen als Mutter schon traurig, aber ist nun mal nicht zu ändern.
So blöd wie es klingt, bin ich trotzdem manchmal froh, dass es beide haben – geteiltes Leid ist halt halbes Leid! So gibt es zumindest keinen Neid.
Liebe Mesalunita,
ohhh, das glaube ich dir gerne, dass solche Fragen einer Mama das Ganze noch schwerer machen. Besonders dann, wenn man schon alles tut und macht, aber das nicht in der Hand hat. Zum einen kann man die Erkrankung nicht wegzaubern und dazu kann man nicht herbeizaubern, dass der glutenfreie Alltag besonders auswärts ein Kinderspiel ist. Ja, zumindest haben sich die beiden gegenseitig, so dass sie sich austauschen – und sich gemeinsam über kleine glutenfreie Erfolge freuen und über blöde Erlebnisse aufregen können!
Ich finde es toll, dass du deine „Große“ nach und nach dazu bewegst, dass sie selbst für sich nachfragt und einsteht. So lernt sie es möglichst früh und weiß genau, wonach sie fragen und worauf sie achten muss.
Ganz liebe Grüße
Anna