Rückschlag Glutenunfall
„Anna, was passiert eigentlich, wenn du Gluten isst?“ – die Frage aller Fragen, die mir immer und immer wieder gestellt wird. Ja, was passiert dann eigentlich? Welche Symptome hat man als betroffene Person und gibt es Medikamente dagegen? Welche Folgen kann es haben, wenn man trotz Zöliakie Gluten verzehrt?
Jeder Betroffene reagiert anders
Bei mir selbst haben sich die Symptome im Laufe der Zeit verändert. Vor und kurz nach meiner Diagnose hatte ich eher klassische Symptome wie starke Müdigkeit, Magenkrämpfe, einen schmerzhaften Blähbauch und Durchfall. Mit der Umstellung auf meine strikt glutenfreie Diät gingen die tagtäglichen Beschwerden innerhalb weniger Wochen weg – jedoch reagiert mein Körper seitdem bei Glutenunfällen viel heftiger als je zuvor. Als wenn er mir eindrücklich sagen möchte, dass er wirklich kein Gluten verträgt. Von einem sog. Glutenunfall spricht man, wenn man nach der gesicherten Diagnose aus Versehen etwas Glutenhaltiges zu sich genommen hat.
Meine schlimmsten Glutenunfälle
Es war einer der letzten sommerlichen Herbsttage vor ein paar Jahren in München. 21 Grad, Sonnenschein, knisterndes Laub auf den Gehwegen an der Isar. Im Glockenbachviertel hat uns nach langer Suche ein kleiner Laden angelächelt – was soll ich sagen: Ich war begeistert. Auf Nachfrage bekam ich eine Allergenkarte, jedes Gericht war super ausgezeichnet. Weißwein-Risotto oder rotes Thai Curry? Die Wahl fiel auf Nummer zwei. Es sollte das Curry werden.
Trotz der klaren Allergenkennzeichnung habe ich bei der Bestellung mehrfach darauf hingewiesen, dass ich Zöliakie habe, also an dem Essen kein Gluten sein darf und bei der Zubereitung auf eine Kreuzkontamination geachtet werden müsse. Ich habe quasi das komplette Zöliakie-ABC abgespult. „Nein, nein, wir kennen uns aus!“ wurde mir versichert. Kurze Zeit später kommt die Servicekraft zurück: Der Reis sei ausgegangen – ob ich mein Curry mit Bulgur essen möchte? Nein, das geht leider nicht, da ich ja kein Gluten essen darf!? [Ich weiß: Spätestes nach der Frage hätte ich meine Beine in die Hand nehmen und rennen sollen!]
Meine Symptome
Reis wurde dann doch noch irgendwo aufgetrieben und das lang ersehnte Curry schmeckte sogar ganz gut. Auf dem Weg zur Bahn ging es jedoch kurze Zeit später los. „Mir ist irgendwie schwindelig und übel!“ habe ich noch zu meiner Freundin gesagt. Die Umgebung habe ich da nur noch wie gedämpft wahrgenommen – eine Mischung aus Nebel und Watte im Kopf. Wie durch eine Milchglasscheibe. Ich konnte die ganzen Einzelheiten gar nicht mehr voneinander unterscheiden. Und das Laufen hat mich wahnsinnig angestrengt. In der U-Bahn-Station angekommen, habe ich mich schon auf meine Knie gestützt. Irgendwie war mir einfach nur hundeelend. Die Bahn kam – den Fensterplatz habe ich dankend abgelehnt. Der Platz am Gang, direkt an der Tür, war da doch einladender. Für den Fall der Fälle. Mein Bauch schaltete sich ein. Krämpfe und das Gefühl gleich einfach platzen zu müssen. Wie ein dicker Heliumballon!
Bei einem Glutenunfall geht es mir hundeelend.
Im Kopf bin ich die noch kommenden Haltestellen durchgegangen. Ich wollte nur noch eins – zurück ins Hotel kommen. Bis dahin wechselten sich Übelkeit und Magenkrämpfe ab. Am liebsten hätte ich mich einfach auf den Boden gelegt, zusammengezogen wie ein kleines Kind und laut geschrien.
An den Abend werde ich noch lange denken. Es schien so, als wenn ich das Komplettpaket abbekommen hätte. Die Übelkeit und Magenkrämpfe begleiteten mich lange, der Schüttelfrost wurde zeitweise von Hitzeschüben abgelöst. Meine Nieren taten einfach nur weh, als wenn ich mit einem rückenfreien Top durch eisige Kälte gelaufen wäre. Zumindest hat die Migräne zeitweise die anderen Schmerzen überdeckt. Kraftlos und müde – wie von Lord Voldemort persönlich leergesaugt.
Fazit: Notaufnahme am nächsten Morgen. Krankenschein. Viel trinken. Ausruhen. Schlafen.
Was passiert aus medizinischer Sicht?
Jeder Glutenunfall heizt die Autoimmunerkrankung wieder an – es kommt zu einem entzündlichen Geschehen im Darm. Auf lange Sicht gesehen kommt es zu einer chronischen Schädigung der Dünndarmschleimhaut. Die Darmzotten bilden sich immer weiter zurück, so dass darüber schlussendlich keine oder nur noch wenige Nährstoffe aufgenommen werden können. Darüber hinaus kann es zu weiteren gesundheitlichen Folgen kommen. Diese können neurologischer, gastrointestinaler oder allgemeiner Art sein. Migräne, Depressionen, Krebserkrankungen des Magen-Darm-Traktes, Osteoporose und und und. Die Liste an potentiellen Folgen könnte ich ellenlang weiterführen. Dazu gibt es einen tollen Beitrag bei MeinAllergiePortal!
Was kann man dagegen tun?
Abwarten und Tee trinken. Bis zum jetzigen Zeitpunkt gibt es keine Medikamente gegen Zöliakie. Die einzige Möglichkeit ist eine strikte, lebenslange glutenfreie Diät. Bei einem Glutenunfall hilft mir selbst immer viel Schlaf, Ruhe, Tee, eine Wärmflasche und die Gewissheit eine Toilette in der Nähe zu haben!
Im Handel stolpert man hier und da über Nahrungsergänzungsmittel (NEM), die damit werben, Gluten abzubauen. Tückisch für Zöliakie-Betroffene! Im Hinblick auf eine Zöliakie ist bei diesen Produkten äußerste Vorsicht geboten. Meist enthalten diese Präparate Enzyme, die den Glutenabbau unterstützen sollen. Dabei möchte ich die Worte „unterstützen sollen“ betonen. Inwieweit und in welchem Umfang durch die Einnahme wirklich Gluten abgebaut wird ist wahrscheinlich von Person zu Person und Körper zu Körper unterschiedlich. Und selbst wenn durch diese NEM Gluten abgebaut wird, heißt das nicht im Umkehrschluss, dass gar kein Gluten mehr übrigbleibt und den Magen-Darm-Trakt eines Betroffenen nicht schädigt. Für Menschen mit Zöliakie also keine Option!
Gedanken
Ich frage mich regelmäßig, warum Zöliakie teilweise immer noch auf die leichte Schulter genommen wird. Von Restaurantbetreibern, Verwandten und teilweise leider auch Betroffenen selbst. Sind wir doch einmal ehrlich: Bei Gästen mit einer Anaphylaxie würde doch auch niemand salopp behaupten „Ach, so ein paar Nüsse haben noch niemandem geschadet!“. Fair enough: Bei einer Zöliakie droht zwar keine Erstickungsgefahr, jedoch wünscht man die möglichen Auswirkungen doch auch niemandem, oder? Zöliakie ist weder eine freie Entscheidung, noch eine Modeerscheinung. Es ist und bleibt eine Autoimmunerkrankung.
Ich kann nachvollziehen, dass andere Betroffene nach solchen Erfahrungen erst gar nicht mehr auswärts essen gehen möchten, da sie ihr Vertrauen verloren haben. Das Vertrauen darin, dass ihre Bedürfnisse ernst genommen werden. Leider habe ich jedoch im vergangenen Jahr die Erfahrung machen müssen, dass ein Glutenunfall nicht nur in der Gastronomie, sondern auch auf Familienfeiern passieren kann. Trotz Absprachen, Versicherungen und mehrfachen Nachfragen haben mich kurze Zeit später dieselben Symptome ereilt, die mich bereits einige Jahre zuvor in München gequält haben – nur ging es bei diesem Mal am Steuer eines Autos bei der Fahrt los!
Meist bin ich nach solch einem Erlebnis einfach enttäuscht, sauer, hilflos und voller Fragen. Ein reines Gefühlschaos. Dennoch lasse ich mich von solchen Situationen nicht unterkriegen. Eher ganz im Gegenteil. Mich bestärken genau diese Erfahrungen, noch mehr Aufklärungsarbeit zu leisten und der Erkrankung noch mehr Gehör zu verschaffen. Natürlich gehen entsprechende Erlebnisse nicht spurlos an mir vorbei – weder das Restaurant würde ich noch einmal besuchen, noch würde ich bei dem entsprechenden Teil der Familie noch einmal etwas essen, was ich nicht selbst zubereitet oder mitgebracht habe. Dennoch stecke ich den Kopf nicht in den Sand!
In meiner Kategorie „Zöliakie Allgemein“ findet ihr noch weitere Beiträge rund um das Thema Zöliakie! Wie wird die Erkrankung diagnostiziert? Worauf muss ich beim Einkaufen achten? Wie lese ich Zutatenlisten richtig und was gilt es zu beachten, wenn ich glutenfreien Besuch bekomme?
Ansonsten freue ich mich immer über einen Erfahrungsaustausch mit euch. Was habt ihr für Symptome bei einem Glutenunfall? Was hilft euch dabei am besten? Schreibt mir gerne hier einen Kommentar oder meldet euch über Instagram oder Facebook!
Eure Anna ♥
Wichtiger Hinweis:
Dieser Beitrag enthält allgemeine Hinweise und ist zum Teil ein persönlicher Erfahrungsbericht. Er soll zur weiteren Aufklärung über Zöliakie dienen, kann jedoch keinen Arztbesuch ersetzen und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden.
4 Comments
Liebe Anna
Ich bin erst seit ca 9 Monaten ein offizieller Zöli und passe höllisch auf. Auch im Haushalt meines Freundes ist mittlerweile alles „safe“ für mich. Unfälle hatte ich bisher nur zwei klitzekleine und doch steigerte sich die Symptomatik massiv.
Heute Abend waren wir bei meinem Lieblingsgriechen essen. Ich weiß mittlerweile genau welches Essen ich essen darf und genieße es jedesmal sehr. Heute habe ich wie immer zwei Pommes vom extra Teller stibitzt und liege nun mit Schweißausbruch und Schüttelfrost auf dem Sofa damit im Schlafzimmer weitergeschlafen werden kann. Mit dem monströsen Blähbauch (der sehr schnell kommt und mein „Foodbaby“ ist) kann ich super leben. Aber gerade spinnt mein Kreislauf und mein Darm randaliert bereits.
Auf dem Weg nach Hause habe ich beim Restaurant angerufen und gefragt ob irgend etwas neu oder anders gemacht wird von meinem Essen. Nein, sie haben extra wie immer alles kontrolliert. Kurz danach ein Rückruf vom Chef: Ob ich bei meinem Freund Pommes probiert hätte? Die sind von einem Ersatz-Lieferanten und daran hatte keiner gedacht. Kann passieren. Und seien wir ehrlich, ich habe die Pommes nicht bestellt. Aber es war trotzdem unglaublich lecker, auch wenn diese zwei Pommes mich gefühlt gerade umbringen.
Liebe Andrea,
vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast! Ich freue mich riesig, dass du auf meine Seite und den Beitrag aufmerksam geworden bist! Ich finde es super spannend, dass bei dir die Symptome auch so stark geworden sind, wenn du nun einen Glutenunfall hast! So ist es bei mir auch! Die Schweißausbrüche, Schüttelfrost & Co. kommen mir auch sooo bekannt vor! Damit geht es bei mir immer los! Und mir wird unglaublich schwindelig. Wir scheinen da ähnliche Symptome zu haben!
Ach, wie ärgerlich, dass es dann bei dir tatsächlich an den zwei Pommes lag. Aber da sieht man mal wieder, wie schnell es gehen kann und was einzelne Bissen doch anrichten können. Ich hoffe, du hast dich gut erholt!
Viele liebe Grüße,
Anna
Hallo Anna, ich lese mir gerne auch mal andere Erfahrungsberichte durch, da es mich etwas erleichtert, dass ich nicht die einzige bin die in dem Moment darunter auch emotional/ psychisch sehr leidet.
Ich war gestern in einem Restaurant essen, wo ich bereits öfter war. Ich bestelle auch immer das gleiche Gericht, um sicher sein zu können. Beim Servieren war ich allerdings schon etwas verwundert, dass alles ganz anders angerichtet war als sonst, aber habe mir weiter keine Gedanken darum gemacht.
Etwa 2 Stunden später merkte ich, dass es los ging. Da mir das schon häufiger passiert ist, wusste ich direkt was los war. Bei mir fängt es auch mit Schweißausbrüchen an und mein Rumpf kribbelt so komisch. Dann bekomme ich Bauchkrämpfe und muss schon zur Toilette rennen und mir einen Eimer dabei auf den Schoß stellen, weil ich wegen der Übelkeit und den Schmerzen immer etwas spucken muss. So verbringe ich dann 2-5 Stunden im Badezimmer, bis alles raus ist. Natürlich ist mein Kreislauf dann total im Eimer, ich schwitze stark, aber mir ist eiskalt. Letzte Nacht war es auch wieder so extrem, dass irgendwann Blut dabei war.
Ich war anschließend so ausgelaugt, dass ich heute auch nicht arbeiten gehen und erst abends eine Kleinigkeit zu mir nehmen konnte.
Helfen tut mir währenddessen leider nichts außer aussitzen und hoffen, dass der Darm sich bald entleert hat, denn dann nehmen die Symptome erst ab. Wenn ich mich dann mal richtig hinlegen kann, muss ich mich auch ausschlafen und brauche eine Wärmflasche gegen den Schüttelfrost.
Nach jedem „Glutenunfall“ steigt meine Angst irgendwo essen zu gehen und mich bekommt schon fast Panik, wenn die Symptome beginnen.
Ich wäre froh, wenn alle Köche das ernst nehmen würden und wenn man irgendwann mal unbeschwert essen gehen könnte.
LG Eva
Liebe Eva,
vielen lieben Dank für deine Offenheit und dafür, dass du deine Erfahrungen und Gedanken hier teilst!
Ich erkenne mich in deiner Beschreibung so gut wieder und sehe ganz viele Parallelen! Ich kenne dieses Gefühl von Schweißausbrüchen und gleichzeitigem Frieren, der Ausgelaugtheit danach und den Krämpfen! Mir hilft währenddessen leider auch nichts. Nur die Gewissheit, dass ich mein Bad und meine Toilette in der Nähe habe! Sonst werde ich dazu auch noch so unglaublich nervös und echt hilflos. Auch die Müdigkeit und dieses Gefühl nur schlafen zu wollen (mit Wärmflasche auf dem Bauch) kenne ich so gut!
Oh ja, das Bewusstsein muss einfach noch viel, viel größer werden!
Viele liebe Grüße
Anna