Warum du dich nicht für deine Zöliakie entschuldigen solltest

In den letzten Tagen bin ich über ein Posting einer amerikanischen Bloggerkollegin gestolpert. „Dich immer zu entschuldigen, macht dich selbst schwach.“ Ich muss zugeben, dass der Satz mir nicht mehr aus dem Kopf gegangen ist. Und je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr stimme ich dem zu. Passender kann man es wohl kaum auf den Punkt bringen!

#sorrynotsorry

Auch wenn ich nach und nach gelernt habe, Nein zu sagen, habe ich mich auch noch oft selbst in der Situation wiedergefunden, dass ich mich für meine Zöliakie entschuldigt habe. Dafür, dass ich Umstände mache. Dafür, dass ich spezielle Bedürfnisse habe. Dafür, dass ich nicht der unkomplizierteste Gast bin. Dafür, dass ich alles ganz genau wissen möchte, was auf meinem Teller und in meinem Bauch landet. Ein permanentes Gefühl des schlechten Gewissens, dass man anderen Menschen zur Last wird.

All das sind genau die Situationen, die ich nicht mag. Situationen, die einem das Gefühl vermitteln, dass man zu viel und zu anstrengend ist. Viel zu viel Zeit bei einer Bestellung benötigt und man eine Extrawurst einfordert, für die aktuell keine Kapazität da ist. Nicht selten habe ich mich in diesen Situationen so klein gefühlt und das Gespräch mit einem „Es tut mir leid, aber…“ eingeleitet. „Es tut mir leid, dass ich Umstände mache.“ „Sorry, aber ich muss mich glutenfrei ernähren.“ „Entschuldigung, aber…“

Es tut mir leid, aber…

Auch wenn ich nach wie vor nicht gerne Umstände mache und eine große Portion Verständnis für mein Gegenüber habe, habe ich im Laufe der Zeit eine andere Sichtweise bekommen. Ich habe mir irgendwann selbst die Frage gestellt, warum ich mich eigentlich entschuldige. Eine Entschuldigung impliziert doch immer, dass man etwas falsch gemacht hat. Dass man sein entsprechendes Fehlverhalten reflektiert hat. Ja, wortwörtlich setzt es eine Schuld voraus. Und genau da ist der Haken. Der Knackpunkt liegt bei der Schuld!

Warum entschuldige ich mich für meine Zöliakie. Eine Erkrankung, die niemand beeinflussen kann und die ich mir nicht freiwillig ausgesucht habe. Ganz im Gegenteil. Zöliakie ist eine ernstzunehmende Autoimmunerkrankung, eine Behinderung für die niemand etwas kann. Keine Einbildung. Kein Diättrend. Kein Betteln um Aufmerksamkeit. Einfach eine Behinderung.

Mich erschreckt es auch fast 14 Jahre nach meiner Diagnose noch, wie wenig Bewusstsein und Verständnis hinsichtlich dieser Erkrankung herrschen. Und das ist nicht nur auf Erfahrungen in Restaurants & Co. bezogen, sondern generell auf Reaktionen, die einem im Alltag begegnen. Wie leichtfertig damit umgegangen wird und wenig differenzierte Aussagen getroffen werden. Leider habe ich als Betroffene oft noch das Gefühl, als wenn sich spätestens bei dem Begriff glutenfrei ein Schalter umlegt. Als wenn der Begriff von einem unsichtbaren Damoklesschwert begleitet wird, das Betroffenen automatisch die Existenz der Erkrankung abspricht oder zumindest kleinredet. „Ein bisschen Brot kannst du doch essen…“, „Beim Bruder eines Freundes ist das wieder weggegangen…“, „Mach doch mal eine Ausnahme…“. Oftmals wird gar nicht in Betracht gezogen, dass es sich tatsächlich um eine Erkrankung handelt, sondern wird kategorisch als Diättrend abgetan.

Es ist ja nicht so, als wenn ich einfach nur picky beim Essen wäre. Nein, ich muss einfach zwingend auf Gluten verzichten. Komplett. Ich kann nicht mal eine Ausnahme machen oder es nicht so genau nehmen. Ich muss nachfragen. Ich muss es genau wissen. Ich muss penibel auf meine Ernährung achten, auf Spuren und alle Inhaltsstoffe. Ich darf die glutenfreien Nudeln nicht durch das gleiche Sieb abgießen, in denen vorher normale Nudeln abgeschüttet wurden. Ich darf nicht das gleiche Brotmesser nutzen, mit dem gerade glutehaltiges Brot geschnitten wurde.

Empathie und Verständnis: Klar! – Entschuldigung: Nein!

Mit der Zeit habe ich gelernt anders mit der Situation umzugehen. Anstatt wie zu Beginn in die Opferrolle zu schlüpfen und mich klein zu machen, stehe ich heute zu meinen Bedürfnissen. Natürlich mit genügend Verständnis und Offenheit für mein Gegenüber. Empathie und Zuhören dürfen dabei auf beiden Seiten nie fehlen. Gerne erkläre ich und beantworte Fragen – insofern das nötige, aufrichtige Interesse auf der Gegenseite vorhanden ist.

Dazu gehört für mich auch, zu seiner eigenen Position zu stehen und die Bedürfnisse deutlich zu machen. Nein zu sagen. Und sich selbst dadurch zu schützen. Und ich habe an meiner Wortwahl gefeilt! Ein „Ich möchte keine Umstände machen, jedoch bin ich aus gesundheitlichen Gründen auf eine sichere glutenfreie Ernährung angewiesen. Ich habe Zöliakie…“ hört sich doch um einiges tougher an als ein „Es tut mir leid, dass ich Umstände mache, aber ich ernähre mich glutenfrei…“, oder?

Steht für euch ein!

Die folgenden Punkte haben mir auf meinem Weg geholfen und mich gestärkt, meine eigene Denkweise zu hinterfragen:

1. Zöliakie ist keine persönliche Entscheidung

Zöliakie ist keine Lifestyle-Wahl, sondern eine Behinderung, die niemand beeinflussen kann.

2. Zöliakie ist nicht heilbar

Nein, Zöliakie ist nicht nur so eine Phase! Im Gegensatz zu freiwillig gewählten Ernährungstrends ist Zöliakie eine Autoimmunkrankheit, die eine lebenslange strikte glutenfreie Diät erfordert. Nicht heilbar, keine Desensibilisierung, keine Einbildung.

3. Entschuldigen führt zur Stigmatisierung

Immer dann, wenn sich Betroffene für ihre Erkrankung entschuldigen, kann dies zu einer unnötigen und ungewollten Stigmatisierung führen. Es vermittelt den Eindruck, dass Zöliakie etwas ist, wofür man sich entschuldigen müsse und was man selbst beeinflussen kann. Aber genau das Gegenteil ist der Fall! #sorrynotsorry

5. Gemeinsam anstatt Gegeneinander

Nur gemeinsam und mit gegenseitigem Verständnis können wir eine Lösung finden. Auch wenn es wünschenswert wäre, kann ich als betroffene Person nicht immer davon ausgehen, dass mein Gegenüber auf dem gleichen Wissensstand wie ich selbst ist. Hier kann ich anbieten, meine Bedürfnisse zu erklären und so zur Aufklärung über Zöliakie beitragen. Aber ja: Das Ganze ist keine Einbahnstraße und setzt auch auf der anderen Seite Offenheit und eine Bereitschaft voraus, Rücksicht zu nehmen und zuzuhören.

Zöliakie = Behinderung

Erkennt ihr euch in dem Beitrag wieder? Habt ihr euch auch schon einmal für eure Erkrankung entschuldigt? Wie geht ihr heute damit um?

Folgt ihr mir eigentlich schon auf Instagram und Facebook? Ich freue mich, wenn wir uns auch da vernetzen!

Eure Anna ♥

P.S.: Auch wenn der Beitrag eher Bezug auf die Negativbeispiele nimmt, möchte ich an dieser Stelle betonen, dass es auch immer wieder positive glutenfreie Erlebnisse gibt. Begegnungen, die einem im Gedächtnis bleiben, wenn sich eine Person besonders bemüht. Selbst kleine Gesten können dabei ganz große Wirkung haben und Betroffenen den Tag versüßen! Alleine Ehrlichkeit, Offenheit und Verständnis können dabei ganz viel bewirken!

2 Comments

  1. Liebe Anna,
    ich erkenne mich in deinem Text sehr gut wieder.
    Aber du hast völlig recht. Wir haben uns das nicht ausgesucht und sollten uns deshalb auch nicht ständig entschuldigen. Und die meisten erwarten ja auch gar keine Entschuldigung von uns. Tatsächlich stoße ich ganz oft auf sehr viel Verständnis und grade andere Eltern sind in der Regel einfach froh, dass sie nicht selbst betroffen sind…
    Danke für den Denkanstoß.
    Liebe Grüße, Anja

    • Anna Reply

      Liebe Anja,

      ich freue mich sehr, dass du dich in dem Beitrag wiederfindest und ich so nicht alleine mit meinen Gedanken bin!
      Toll, dass du so oft auf Verständnis stößt und andere Eltern da so offen sind! Eigentlich genauso, wie man es sich wünscht und wie es sein sollte! Klasse, dass das in deinem Umfeld so gut klappt! 🙂

      Herzliche Grüße
      Anna

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